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Sarahs Gedanken – Gastbeitrag

Bild von Reimund Bertrams auf Pixabay

Das, was in den Jahren 2020 und 2021 passiert ist, ist die Spitze eines gesellschaftlichen Eisberges, der schon Jahrzehnte lang unter der Oberfläche des Kapitalismus, unseres heiß geliebten westlichen Wohlstandes, schlummert.

Wir haben in Deutschland ein Schulsystem, das Kinder zur Anpassung, zum Gehorsam, zum Mitlaufen erzieht. Obwohl Bindungsforschung und Entwicklungspsychologie längst aufgezeigt haben, dass Beziehung, Gleichwürdigkeit und Vertrauen der Schlüssel zu gelingendem Lernen sind. 

Jesper Juul, Gerald Hüther und viele andere erklären in Büchern, Vorträgen und Initiativen seit Jahrzehnten, wie krank unser Umgang mit Kindern ist und wie wir es anders machen müssten – freier, offener, individueller. 

Doch ein Blick in die Schulen, und auf das Verhalten der meisten Kinder, zeigt, wie wenig das passiert. Im Gegenteil – das Belohnungs- und Bestrafungssystem, welches Schulnoten im Endeffekt sind, bringt den jungen Menschen lediglich bei, ihre eigenen Interessen und Kompetenzen zugunsten derer, die von ihnen verlangt werden, zu verleugnen. 

Daraus resultiert, dass ihnen das Gespür dafür, was sie brauchen, wollen und können, abhanden kommt. Schließlich wird ihnen gesagt, was richtig und was falsch ist, das eigene Bauchgefühl spielt keine Rolle. Sie müssen sich verbiegen, um „gut“ zu sein. In den meisten Schulen ist Fremdbestimmung an der Tagesordnung. Es entsteht eine Lücke der Selbstwirksamkeit.

Diese wird bei den wenigsten von ihnen im Laufe ihres Lebens gefüllt, indem sie Anerkennung für etwas bekommen, das sie aus dem Herzen heraus gern tun. Einige schaffen das beim Sport, in künstlerischem Schaffen oder, indem sie von anderen Erwachsenen bedingungslos geliebt werden. 

Die, die kein solches Netz finden, das sie auffängt und in ihrer Individualität bestärkt, suchen nach Kompensation. Sie ersetzen das Bedürfnis nach Wirksamkeit durch andere Dinge, ohne es zu bemerken. 

Sie werden zu guten Konsumenten. Denn beim Kaufen können sie scheinbar wirksam sein, verschaffen damit ihrem Gehirn für kurze Zeit den gleichen „Glückskick“, wie es bedingungslose Zuneigung und der Stolz auf eigenständiges Wirken täte.

In einer Verkettung mehrerer unbewusster Komponenten werden Kinder, in dem Moment, in dem sie zu Schülern einer klassischen Schule werden, zu guten Käufern heran gezogen.


Wir alle haben diese Form des Trainings mehr oder weniger über uns ergehen lassen. 

Wir alle wissen, wie viel von dem, was wir in der Schule auswendig gelernt haben, um den Erwachsenen zu gefallen, heute noch in unseren Köpfen steckt. 

Wir haben erlebt, wie es sich anfühlt, nie gut genug zu sein, weil jemand anderes immer besser und klüger ist, sich besser anpassen kann.

Die, die sich am besten anpassen konnten, arbeiten heute in Führungspositionen. 

Die wenigsten von ihnen haben das geschafft, ohne ihre Empathie, ihre Fähigkeit, sich in andere Menschen hinein zu versetzten und sie anzunehmen, wie sie sind, auf der Strecke des Erfolgs zurück zu lassen. Wer moralische Bedenken oder Skrupel hat, bleibt stecken, ohne Ellenbogen geht es nicht. Sie stumpften ab, eine glänzende Karriere vor Augen.

Nun sind wir hier, in einer Gesellschaft, in der die skrupellosesten, narzisstischsten Menschen die wichtigsten Ämter bekleiden und Entscheidungen für eine große Zahl anderer Menschen treffen. Fern ab jedes Realitätssinnes, weil sie einfach nicht mehr wissen, wie sich echtes, zwischenmenschliches Leben anfühlt, fegen sie die Wurzeln des Miteinanders einfach hinweg. 

Sie wissen tatsächlich nicht, was andere bewegt. Sie haben verlernt, mental eine andere Position als ihre eigene einzunehmen und wohlwollende Entscheidungen für andere zu treffen. Sie glauben, dass einzig Zwang und Herabwürdigung andere zu verantwortungsbewusstem Handeln bewegen kann, weil sie diese Entwürdigung selbst so oft über sich ergehen lassen mussten.

Man kann es ihnen nicht einmal vorwerfen, denn das System hat sie dorthin gebracht, wo sie heute sind. Sie hatten mit dieser Strategie Erfolg und haben sie deshalb ausgebaut. Schließlich haben die Menschen sie bejubelt, bestärkt, gewählt. Die, die es gewohnt sind, anderen ihren Willen aufzuzwingen, trafen auf diejenigen, die sich bereitwillig führen lassen, weil sie sich ohne diese Führung verloren und haltlos fühlen. Schließlich hatten sie gelernt, dass nur Anpassung zum Erfolg führen kann.

Wie kommen wir nun aus dieser Misere heraus? 

Indem wir Verantwortung übernehmen.

In erster Linie für uns selbst. Wir müssen uns fragen, was uns wirklich wichtig ist. Wie wir uns unsere Zukunft vorstellen, ob wir weiter von oben herab geleitet werden oder die Fragen unsere Lebens selbst beantworten wollen.

Das bedeutet, seine Komfortzone zu verlassen, Entscheidungen für sich und seine Lieben zu treffen und die Konsequenzen dieser Entscheidung auszuhalten. Gute und schlechte. Denn niemand anderes als wir selbst ist für das Resultat verantwortlich. Der Moment, in dem wir die Schuld jemand anderem in die Schuhe schieben können, ist dann vorbei. Denn es gibt keine Führung mehr, wir selbst sind Entscheider über unser Leben.

Haben wir das erkannt, können wir eine Schule gestalten, die Kindern genau das beibringt – Verantwortung.

Wir geben ihnen einen Vertrauensvorschuss, lassen sie selbst entscheiden, was und wie sie lernen wollen, verstehen uns als ihre Begleiter, nicht als ihre Führer, und zeigen ihnen, dass wir ihr Wirken schätzen. 

So werden sie zu selbstständigen Erwachsenen, die ihre Kompetenzen kennen und ebenso wissen, was ihnen nicht liegt, weil sie ohne Spott ausprobieren und Erfahrungen über sich selbst sammeln durften. 

Sie wären aus sich selbst heraus gut. Sie hätten erfahren, dass sie nichts Besonderes tun müssen, um liebenswert zu sein. Allein ihre Existenz reicht. 

Ganz automatisch würden sie das Gleiche anderen zugestehen und von ganz allein nur Dinge tun, die der Welt und den Lebewesen in ihr nicht schaden. Sie bräuchten kaum etwas, um glücklich zu sein, denn das Glück steckt bereits in ihnen.

Ja, diese Erwachsenen wären schlechte Käufer, gewiss.

Doch wären sie ein echter Gewinn für die Menschlichkeit und diesen Planeten, dem wir eher gestern als heute zeigen sollten, dass wir das Leben auf ihm auch verdient haben.

Sarah